Samstag, 23. Oktober 2010

Melancholie des Alters?

Davon sprach jedenfalls Siegfried Lenz. Mit deutlichem Bezug zu seiner masurischen Herkunft, welche ja nicht zuletzt durch ihn als Urtypus melancholischer Landschaften gilt.

Ja, ich glaube, ich verstehe ihn. Was mich ein wenig stolz mächte, denn es zeigt mir, sofern ich mich wenigstens diesmal nicht irre, dass ich mittlerweile alt genug dazu geworden bin. Aber verstehe ich ihn noch besser als er sich selbst? Verstand ich auch das, was er somit nicht sagte?

Jedenfalls verstand ich da noch besser, was Loki in diesem Gespräch mit Fragen stellendem Interviewer und laufender Kamera sagte. Für mich symbolhaft, bezeichnender Weise auf einer Landungsbrücke, benannt "Teufelsbrück", modern hocheingedeutschter Name der sicherlich zu Lokis schon Lebzeiten noch gehießene "Dübelsbrück", die so häufig von sich drehenden, aus den Rudern gelaufene Hochseeriesen aufs nahe Elbufer oder gar in Grund und Boden gestampft wird, dass ich unwillkürlich den Hintergrund des offensichtlich gerade mal wieder frisch renovierten Pontons nach diesem sensationellen Ereignis absuchte.

Es fing wohl an mit der so oder ähnlich lautenden Frage, was denn die älteren Menschen von jüngeren unterscheide, die eben von Herrn Lenz schnell mit: "die Melancholie" und dann mit der Erläuterung, er käme ja aus Masuren, beantwortet wurde.

Loki holte weiter und tiefer aus: Sie sprach erst einmal von Veränderlichkeit eines Menschen. In meinem Verständnis kann ich das nur mit unveränderlichen Veränderbarkeit, bzw. der veränderlichen Unveränderbarkeit des Menschen ergänzen. Also wieder diese mich verblüffenden dualen Paare, die erst vereint wirklich Sinn ergeben. Fürs bestes Beispiel halte ich ja immer noch diese herrliche Dämlichkeit und dämliche Herrlichkeit.
Loki hielt es deutlich für Blödsinn, davon auszugehen, ein Mensch verändere sich nicht. "Du hast dich ja gar nicht verändert!" wäre für sie wohl mit die schlimmste Beleidigung ihrer Person gewesen. Die Absurdität, die offensichtlich gedankenlose Dummheit solch Komplimente machender Menschen brachte sie dann als Ex-Lehrerin auf den Punkt, was wohl wäre, wenn Kinder als Beispiele für Menschen - ihre Größe, ihr Wachstum bezeichnet ja doch nicht, dass sie keine Menschen wären, erst noch welche werden müssen, sollen, oder? - sich nicht veränderten. Und sie erzählte auch von den äußeren und innerlichen Anlässen, die einen, jeden Menschen immer und immer wieder verändern.

Als Beispiele brachte sie dann ihre bekannten Erlebnisse: first Lady für äußere und Selbstneuerfindung, -verwirklichung als forschende Biologin, Botanikerin für innere Gegebenheiten, die sie veränderten. Gerade auch noch als erwachsener, wenn nicht gar sogar schon reiferer Mensch!

Auf die Nachfrage, ob sie sich denn auch heute noch verändere, sagte sie das. Und schloss dann ab, dass sie nicht wisse, ob. Zumal sie wohl auch nicht mehr viel Zeit dazu hätte.

Und was mich besonders beeindruckte, wo ich auch mich selbst noch mehr wiederfand als in der Melancholie Siegfried Lenz, die deswegen ja aber nicht unwahrer ist: "Klar. Die Gebrechen des Alters." Von denen sie wohl noch viel mehr erfahren müsse, fügte sie hinzu, relativ frisch von einem längeren und schweren Krankenhausaufenthalt altersbedingt eher weniger denn mehr genesen. "Aber diese vielen Erfahrungen, dieses unvergleichlich viel mehr richtig einordnen Können, das ist es, was ich nicht missen möchte."

Was sie also von jüngeren Menschen, eben weil auch von der jüngeren Loki unterscheidet. Den für sie wohl größten Schatz, den wahren Reichtums ihres Lebens darstellt. So jedenfalls mein Verständnis, meine Interpretation, die Zitate jederzeit verbesserbar, weil konserviert, so nun aber auch in meinem - und nur aus eben diesem - Gedächtnis.

Ich bin ja nun 53, fast schon 54 Jahre auf dieser Welt. Unvergleichlich jung noch gegenüber Loki. Also auch ich kann merkwürdigerweise nicht sagen, was und wohin ich noch mich werde, bzw. an mir noch verändert werden wird. Bei mir ist es noch gar nicht solange her, kann es nicht so genau beziffern, war ein für mich unglaublich rasanter Schub so etwa zwischen 45 und 48, der mir so frisch noch im Gedächtnis blieb. Und der mir eben jenes von Loki Gesagte verdeutlichte.

Ich vermute, jeder Mensch sollte - egal wo und wie er auch gerade mal dasteht: Kind, junges, älteres? junger Erwachsener, älterer, reifer, reiferer... ? mit oder ohne eigene Kinder? - von Zeit zu Zeit einfach mal seine eigene Vergangenheit vor seinem inneren Auge revue passieren lassen. Ich glaube, dass ist der einzige Weg, damit Menschen erkennen, dass der Sinn ihres Sein genau in dieser unveränderlichen Veränderbarkeit UND auch in der gleichen veränderlichen Unveränderbarkeit besteht. Und wenn die, alle Menschen dann noch diesen ihren merkwürdigen Wunsch dazu nehmen, unveränderlich Veränderliches, aber nun unveränderlich Vergangenes in Stein, in die Zukunft hauen zu wollen, in Organisationen, Plänen, Glaubensbekenntnissen, Gesetzestexten (sind nicht gerade die es, die Menschen zu ewig gestrigen, niemals mehr morgige, zukünftige, anpassungsfähige Menschen machen?), Miss-Wirtschaften, Haben statt Sein, Weltkriege Menschen gegen Menschen aber noch mehr diesen Menschheitskrieg Mensch gegen Welt, gegen sein eigenes und noch einziges Raumschiff als unveränderlich, als Tod, meißelnd als von vorn herein totgeborene Menschheitskinder! Als ScheinBARES, (Führer-)Scheine (Heiligenscheine UND Scheinteufel) als wahr anzunehmen und genau so dann die Wahrheit zur Lüge verändern, merken sie vielleicht dann endlich mal, wie veränderlich sowohl verlogen wie in Wahrheit sie sind. Und nun auch mal wieder zukünftig UND zukunftsträchtig sein müssen, wenn sie noch unveränderlich eine Zukunft haben wollen.
Und diese dann unveränderlich seiende Zukunft dann noch freiwillig, selbstbestimmt? Oder doch auch fremdbestimmt? Innere, äußere Anlässe? verändern zu einer wieder unveränderlich, veränderlichen Zukunft UND durch ihr weiteres Sein dann auch weiter zu haben. Aber das wäre dann nur endlich wieder nur das, was es noch ist, immer schon war und unveränderlich auch immer sein wird: ein I-Tüpfelchen des Menschen, mehr nicht! Aber dann auch schon gar nicht, nie mehr weniger!
Einzig und allein, weil sie sich selbst dann nicht weg verändert haben! Nicht unveränderlich sich nicht veränderten, unabänderlicherweise sich selbst nicht ins, zum Nichts verändern! Einfach nur, weil sie dann ihr eigenes Nichts, ihr eigenes, nichtiges Winziges nicht verändern, weil eben dann auch nicht mehr vergessen UND genau das nie nicht mehr verändern wollen!
Und so dann endlich wieder wachsen werden können! Vielleicht ja über sich, ihre eigene Schatten hinaus? Nur so sicher - wenn überhaupt möglich? - aber übers, ins Universum hinaus. Und das dann auch gerade als schon er?wachsener Mensch! Auch als schon wieder schrumpfender, erwachsen und alter Mensch.

Loki ist dafür ja nur ein feines UND keineswegs, obwohl ja doch immer nur weil unveränderlich kleines Beispiel! Was sie genau wusste! Und genauso auch unveränderlich wollte! UND leider last but niemals least nun ihr auch unveränderlich und erfolgreich gelang. Bleibt mir eigentlich nur noch und immer wieder: "Danke Loki!" zu sagen.

Selbstgefällige Melancholie des Alters? Oder einfach UND auch melancholische ebenso aber auch freudige, erwartende Wahrheit?

Siegfried Lenz sagte noch, ein wahrer Schriftsteller, ein Wortkünstler, ein Sprachartist, ein Sinnjongleur halt, so was wie:"Der alte Mensch gefällt sich oftmals in seiner Melancholie." Ja, denn auch Melancholie, oder auch Trauer UND damit dann auch Ärger, gar Wut, das gefällt Menschen eben immer.
Unveränderlich. Und doch immer auch UND gerade veränderlich!
Es ist und bleibt mindestens dieser eine Dualismus, diese eine Zweisamkeit, die eine Dimension, diese - wie uns unsere Geometrie lehrt - eine, unendliche, unverrückbare, unabänderliche, egal wohin verrückbare und verrückte Gerade, die wahlweise nach ihrem einem, nicht vorhandenem, nur denkbar virtuellem Ende benannt unbändige, ultimative Freude heißt. Oder auch selbstgefällig, veränderlich je nach Standpunkt und Perspektive, Melancholie oder auch Ärger, Trauer bis hin zur selbst- oder fremdzerstörerischen Wut, Aggression genannt wird. Es gibt sie nicht: diese ultimative Freude. Es gibt immer nur etwas noch Erfreulicheres. Es gibt dies auch nicht: dieses Ende aller Destruktion. Die ultimative Aggression. Es gibt immer nur noch Wütenderes, noch Zerstörerisches! Und immer auch irgendwo dazwichen etwas noch Traurigeres, etwas noch Schöneres, noch Selbst- und Fremdgefälligeres.
Menschen haben noch die Wahl, wie weit und wie tief, wie wenig und wie flach, nach links oder rechts, nach oben oder unten sie noch auf ihr gehen, werden wollen.
Und auch ob sie in dieser immer trostloseren, wüsten Mitte verharren wollen. In ihren - von mir nur so veränderlich geglaubten, erhofften und erfahrenen, auch dank Loki und Siegfried Lenz - "shades of mediocrity" (Simon & Garfunkel: "Homeward Bound" Heimwärts bestimmt! Nach Hause will ich! Aber ob auf Muttis Arm? Nein danke! Meine Armut ist groß genug, sie reicht mir!) verschwinden, untertauchen möchten. Ihre mittelmäßigen Figuren, Schatten, Schemata, schemenhaft verschwommene Gestalten, "Nebelbomben", weiter ins große "Es war ein-" Malbuch (egal ob als Malus oder Bonus) der Geschichte malen oder sogar schon schreibend eintragen wollen.

Ein für mich wesentlicher Grund, warum ich dies aber auch alles hier in meinem blog schreibe, ist mein Wunsch, meine Projektion meines nun mehr schmerzlichem Bewusstseins, meines Versagensgefühls, indem ich mir ja auch gerade sehr gefalle, mich schon in jüngeren Jahren nicht zu dem heutigen verändert zu haben, dies heute jüngeren Menschen, also nicht wirklich jüngeren Menschen, gerade den auch schon reifen Erwachsenen, gestanden und mitten im Leben stehenden 35? - 50, 55? Jährigen zwei Dinge sagen zu wollen. Die man mir eben nicht sagte. Oder zumindest die ich nicht hörte, weil ich noch nicht hören wollte. Noch nicht, nicht mehr konnte? Vor lauter: "so lange du deine Füße unter meinen Tisch stellst, solange hörst du gefälligst auf das, was ich sage" so lange taub war? Das menschlich angeborene Hören, oder? oder und? aber? das wirklich richtige Verstehen erst wieder und weiter lernen musste und muss?

Deswegen schreibe ich es euch als:
1. Bleibt, wie ihr seid. Nicht nur, weil ich dies auch so immer meinen noch jüngeren Töchtern sage. Sondern weil es einfach wahr ist: Ihr seid jetzt gerade so, weil es eure Aufgabe ist, so zu sein. Egal was ich oder sonstwer euch auch noch sagt! Und auch egal, ob ihr es hört oder versteht, ich sage es euch! Weil ich es euch sagen möchte! Weil ich es nicht früher verstand! Mir mühselig selbst zusammenreimen musste und muss! (Wie wohl auch und immer auch ihr? Wie Loki sich auch selbst und tröstend empfand: "Es ist sehr tröstlich, zu wissen, es so einordnen zu können, dass nichts verloren geht! Wie uns unsere Physik lehrt" Hier in meinem und eurem Sinne nichts wirklich verloren ist!)

Aber bitte vergisst dabei nicht länger UND auch niemals wieder, dass ihr weder so sein müsst. Noch dass es bei allem Erfolg, den ihr mit eurem gerade richtig so Sein habt, nicht immer auch trotz und gerade dem möglich ist, ihr löstet eure Aufgaben nicht noch besser, noch richtiger, wenn ihr auch nur noch ein ganz kleines Bisschen, ein wenig anders wärt.
Stichwort: "Knapp daneben ist auch vorbei" Und nichts ist schwieriger, als selbst das einfachste Ziel zu erreichen, wenn man immer nur knapp daneben trifft!

2. Seht zu, dass ihr in die Hufe kommt! Lauft! Verändert IN EUCH, was euch, auch euch kaputt macht! Und stolpert endlich mal wieder über eure EIGENEN Füße. Ihr braucht keine fremden dazu! Und schon gar keine von euch selbst fremd gemachten, entfremdete! Denn dann lernt auch ihr wieder, wie wichtig es auch für euch, für eure Aufgaben ist, dass ihr euch verändert! Weiter entwickelt. Nie aufhören könnt und dürft, zu lernen!
Wie Mensch es noch besser macht!

Und diese unsägliche, heuchlerisch dumme, dumm machen und lassen weil genauso und unveränderbarkeitlich nicht anders verkaufen sollende, verlogene Bildungsdebatte hört sofort und unwiderruflich und -bringlich, ein für alle Mal unveränderlich endlich auf!

Seht zu, dass ihr Land gewinnt. Aber vergesst nicht, auch unter meinem, eh und doch auch somit eurem, ja nur ärmlichen Tisch wäre noch Platz für eure, deswegen doch auch wiederum gerade auch meine, müden Füße, auf die ihr vielleicht ja auch mal hören solltet?

Also schaut ruhig mal und weiter und gern noch mehr mal wieder bei mir rein.
Gerade dann, wo ihr schon mal da seid und es kein Umweg ist!

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